„Berlin Alexanderplatz“ – Entstehungsgeschichte (Döblin)
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Grundlagen zum Thema „Berlin Alexanderplatz“ – Entstehungsgeschichte (Döblin)
Weißt du, wozu Alfred Döblin in den Jahren zwischen 1927 und 1929 ganze viele Meldungen aus der Zeitung ausschnitt, aber auch Speisekarten sammelte, Reklamezettel und Ähnliches? Und wozu er sie in sein Manuskript einklebte? Du wirst es hier in diesem Video sehen. Du wirst erfahren, dass viele der Texte, die Döblin bei seiner Montagetechnik verwendet hat, tatsächlich Originaltexte aus der damaligen Zeit sind. Du wirst auch lernen, wie man Döblins Großstadtroman literaturgeschichtlich einordnen kann und was denn eigentlich der Hauptberuf von Döblin war. Viel Vergnügen!
Transkript „Berlin Alexanderplatz“ – Entstehungsgeschichte (Döblin)
Alfred Döblin: Berlin Alexanderplatz - Entstehungsgeschichte
Wir schreiben das Jahr 1927. Über die Berliner Straßen fahren bereits Autos. In den Kabaretts am Kurfürstendamm tanzen die Mädchen. Und in seiner Kammer sitzt Alfred Döblin. Er beginnt vermutlich jetzt mit den Arbeiten an seinem erfolgreichen Roman „Berlin Alexanderplatz“.
Zeitgeschichtlich betrachtet befinden wir uns in der Weimarer Republik. Sie erlebt eine Phase der Stabilität und wirtschaftlichen Erholung. Die große Weltwirtschaftskrise ist noch nicht angebrochen, sie wird erst zwei Jahre später, 1929, folgen. Das bedeutet aber noch lange nicht, dass alle Leute Geld haben. Im Gegenteil, in Berlin gibt es viele arme Menschen. Döblin arbeitet als Armenarzt. Er erlebt diese Menschen, die Armen und Randständigen, die Ganoven und die Prostituierten, täglich in seiner Praxis. In der Kunst dieser Zeit setzt man sich stark mit der Großstadt und ihren Auswirkungen auseinander. Die Großstadt wird als wachsendes und faszinierendes Gebilde empfunden. In Berlin leben 1927 rund 4 Millionen Einwohner, also mehr als heute. Es entstehen Gemälde, Gedichte, aber auch Filme zur Großstadt. Im Jahr 1927 erscheint beispielsweise der Film „Berlin – Die Symphonie der Großstadt“ von Walther Ruttmann, der möglicherweise eine Inspirationsquelle für Döblin darstellte. Einen berühmten Roman zur Großstadt - „Ulysses“ von James Joyce - lernt Döblin kennen, als er bereits in seine Arbeit an „Berlin Alexanderplatz“ vertieft ist. Zwei Bereiche bilden Grundlage und Inspiration für Döblins Werk: Die Stadt, ihre Atmosphäre, ihr Treiben, ihr Sog, ihre mannigfaltigen gleichzeitigen Lebensgeschichten – sie ist ein Motor für Döblins Romanvorhaben. Sie soll Eingang in die Geschichte finden, ja, großer Teil der Geschichte selbst sein. Zudem kennt er den Ort, den er beschreibt, aus eigener Erfahrung. Im Berliner Osten ist Döblin aufgewachsen, hier ging er zur Schule, hier hat er später seine Praxis. Ein weiterer wichtiger Antrieb für „Berlin Alexanderplatz“ ist Döblins Arbeit als Arzt. Hier trifft er die Menschen, die er in seinem Manuskript beschreibt. Er sagt: „Mein ärztlicher Beruf hat mich viel mit Kriminellen zusammengebracht. Ich hatte auch vor Jahren eine Beobachtungsstation für Kriminelle. Von da kam manches Interessante und Sagenswerte.“
Das wichtigste gestalterische Instrument des Romans bildet Döblins Montagetechnik. Er sammelt zwischen 1927 und 1929 unzählige Zeitungsartikel, Schnipsel, Werbetexte, Formulare, Preisausschreiben, Statistiken oder Speisekarten. Diese klebt er in sein handschriftliches Manuskript. Viele der Textausschnitte übernimmt er eins zu eins, andere verändert er geringfügig. So sind Döblins „Quellen“ die tatsächlichen Texterzeugnisse einer Großstadt, wie sie sich zu seiner Zeit präsentiert haben. Dadurch wird „Berlin Alexanderplatz“ für die Nachwelt auch zu einem Zeitdokument. Zudem arbeitet Döblin viele literarische und biblische Zitate in seinen Text ein. Es gibt zum Beispiel Verweise auf Schiller und Goethe. Vor allem aber gibt es ausführliche Bezüge zu biblischen Geschichten. Döblin baut die Geschichte vom Paradies, von Hiob und von Abraham ein, um nur einige zu nennen.
Und wie lässt sich der Roman literaturgeschichtlich einordnen? Zuerst einmal muss man sagen, dass „Berlin Alexanderplatz“ für die deutsche Literatur etwas Neues, Bahnbrechendes ist. In dieser Form, in dieser Konsequenz, hat man noch nichts Vergleichbares gelesen. „Berlin Alexanderplatz“ wird zum Wegbereiter des modernen Romans. Der Roman bewegt sich an der Grenze zwischen Naturalismus und Expressionismus. Beide Elemente sind in ihm enthalten. Deswegen bezeichnet man ihn oft mit dem Begriff „expressiver Naturalismus“. Naturalistisch sind etwa die Großstadt als Thema; der genaue Blick, mit dem die untersten sozialen Schichten untersucht werden oder die exakte Wiedergabe der wahrnehmbaren Realität. Expressionistisch hingegen wird der Roman dort, wo die Großstadt furchterregend wird. Auch wenn das Irrationale plötzlich als dunkle Macht durchbricht, ist das expressionistisch. Ebenso kann die dichte und doch sehr rhythmische und spielerische Sprache dem Expressionistischen zugeordnet werden.
Im Februar 1929, zwei Jahre nachdem Döblin vermutlich mit seinem Großstadtroman begonnen hat, erscheint „Berlin Alexanderplatz“ im S. Fischer Verlag. Auf den Straßen brummen noch immer die Autos. Doch Döblin ruht sich nicht auf seinem Erfolg aus. Er schreibt weiter.
„Berlin Alexanderplatz“ – Entstehungsgeschichte (Döblin) Übung
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Beschreibe den geschichtlichen Kontext, in dem Döblin schrieb.
TippsMit der Industrialisierung, die nochmal mehr Schwung nach Ende des Ersten Weltkriegs bekam, wuchsen die Städte sehr stark an.
LösungDöblin schrieb den Roman in einer der interessantesten Zeiten der deutschen Geschichte. Zum ersten Mal gab es ein geeinigtes Deutschland mit einem demokratischen System, die Weimarer Republik. Die Nachkriegsjahre mit ihren horrenden Reparationszahlungen waren zwar nicht aus der Welt geschafft, doch die Wirtschaft erholte sich langsam. So waren die Goldenen Zwanziger Jahre eine Zeit der Experimente, des Aufbruchs, der Hoffnung, des Wohlstands. In den Städten wuchsen die Industrien an, die auf eine wachsende Zahl von ländlichen Migranten als Arbeiter bauen konnten.
Klarerweise profitierten nicht alle gleichmäßig vom Wohlstand: Die Arbeiterschaft wurde ausgebeutet und schlecht entlohnt, was sich in den untergründig schwelenden politischen Unruhen widerspiegelte. Die Vier-Millionen-Stadt Berlin war ein Brandherd für politische Gruppierungen aller Richtungen die von allen Seiten die Demokratie angriffen.
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Stelle Döblins Leben und Wirken im Zusammenhang mit dem Roman dar.
TippsDie Großstadt faszinierte den gebürtigen Berliner Döblin. Aus welchen zwei Quellen schöpfte er dabei den Stoff für seinen Roman? Welche zwei Seiten zeigte ihm die Großstadt?
LösungDöblin war gebürtiger Berliner: Er wurde dort geboren, wuchs in Ostberlin auf, ging dort zur Schule und eröffnete seine Arztpraxis dort. Er arbeitete als Armenarzt und war daher in ständigem Kontakt mit den Randständigen der Gesellschaft Berlins. Denn nicht alle hatten Teil am Wohlstand der Goldenen Zwanziger Jahre: Hunger und Not brachten Prostitution und Kriminalität mit sich. Diese verschiedenen in seiner Praxis erlebten Lebensgeschichten sollten unbedingt Teil seines Romans sein.
Andererseits ließ er sich von der Größe, der Atmosphäre und dem Treiben in der Stadt faszinieren. Was Berlin zu jener Zeit hervorbrachte, ließ sich nur mit London, New York oder Paris vergleichen und wurde daher überall in der Kunst thematisiert: In Bildern, Fotografien, Gemälden, in Musik, Theater, Film und nicht zuletzt in der Literatur. So lernte Döblin beispielsweise den Großstadtroman „Ulysses“ von James Joyce kennen, ebenso wie den Film „Berlin. Sinfonie der Großstadt“ von Walther Ruttmann.
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Ordne den montierten Textausschnitten aus dem Roman die richtige Textart zu.
TippsWo würdest du die gezeigten Beispiel am ehesten vermuten und finden? An Wänden, in Zeitungen, Radio, Büchern?
LösungDöblins bekanntestes Stilmittel ist seine Montagetechnik. Dafür sammelte er aus vielen Quellen Texte, die ein Zeitzeugnis von Berlin abgeben. Er ließ Zeitungsartikel, Nachrichten, Speisekarten, Werbungen, Statistiken, Formeln, offizielle Mitteilungen und vieles mehr für sich sprechen. So z. B. die Mitteilung der Reichsbahndirektion, die Werbung für Leisers Schuhe, die Nachrichten über das Sechstagerennen und den Sturz der Regierung in Oslo und den Artikel über die Ankunft des Zeppelins in Berlin. Doch auch aus anderen Quellen sammelte er Material: Sein Werk ist geschmückt von abgewandelten Bibelzitaten aus den Büchern über Hiob, Abraham und das Paradies. Außerdem finden sich Anspielungen auf Goethe und Schiller.
Quelle: Alfred Döblin 1929: Berlin Alexanderplatz.
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Ordne der Neuen Sachlichkeit und dem Expressionismus bestimmte charakteristische Eigenschaften zu.
TippsDen Expressionisten ging es um einen freien Ausdruck innerer Gefühle, sie waren sehr poetisch; den Vertretern der Neuen Sachlichkeit ging es eher um eine präzise Abbildung der Gesellschaft.
LösungDöblin vereinigte in seinem Roman „Berlin Alexanderplatz“ in fruchtbarster Weise zwei einander eigentlich entgegengesetzte Stilrichtungen: Neue Sachlichkeit und Expressionismus. Diese Zerrissenheit zwischen Stilen drückt gleichzeitig seine schizophrene Haltung zur Großstadt aus, die einerseits von Faszination, andererseits von Abscheu geprägt war. Doch was kennzeichnet die beiden Stilrichtungen?
Die Neue Sachlichkeit hatte in der Darstellungsweise den Naturalismus zum Vorbild, der wiederum auf dem Realismus des mittleren 19. Jahrhunderts aufbaute. Die Naturalisten hatten das Ziel, ihre Wirklichkeit möglichst objektiv, sachlich, realitätsgetreu, präzise wiederzugeben. Zu dieser Darstellungsweise gehörten unter anderem präzise Beobachtungen, exakte Beschreibungen von Personen, Umgebung und Vorgängen, wissenschaftliche Erklärungen, häufig auch in Umgangssprache, Mundart und Dialekt und dadurch das Erreichen von Authentizität. Damit, so hofften sie, konnten sie in größerer Klarheit herausstellen, welche Auswirkungen und Verwerfungen beispielsweise die Industrialisierung auf die Großstädte und deren Unterschicht hatte.
Der Expressionismus verneinte die Annahme, dass man die Wirklichkeit objektiv beschreiben könne. Seine Anhänger bestanden eher darauf, die subjektiven Gefühle und inneren Erlebnisse auszudrücken. Das Irrationale, das Unbewusste und Unterbewusste sowie das Morbide und Hässliche sollte in aller Konsequenz gezeigt werden. Dafür wurde eine neue Stimme gebraucht und die Expressionisten bedienten sich einer ungebundenen, freien, rhythmischen, spielerischen und bildlichen Sprache, um den versteckten inneren Vorgängen auf die Spur zu kommen.
Diese beiden Stilrichtungen waren Gegenbewegungen. Der Roman vereint Merkmale beider Richtungen und lässt sich daher nicht exakt zuordnen.
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Erläutere die Technik der Montage im Roman.
TippsMontage kennt man vor allem aus dem Film: Hier werden verschiedene Szenen und Bildabläufe aneinander gesetzt. Döblin sammelte Texte und setzte sie aneinander.
LösungDie Montage ist eine bekannte Technik, die vor allem im Film eingesetzt wird. Früher nahm man Filme noch auf Filmrollen auf. Ein Film bestand meist aus mehreren Szenen und Filmrollen, die durch Schnitt und Montage in die richtige Reihenfolge gebracht wurden, um eine ununterbrochene Filmvorführung gewährleisten zu können. Mit Auftauchen des Films entdeckte auch die Literatur dieses Verfahren für sich. Es wurden lose und abgebrochene Szenen unverbunden hintereinander gesetzt, andere Textabschnitte verbunden und textfremde Originale eingebettet.
Auf diese Technik griff auch Döblin zurück, um ein Abbild seiner Stadt Berlin zu schaffen. Er sammelte dafür mehrere Jahre lang Zeitungsartikel, Speisekarten, Werbungen, Formulare und vieles mehr, änderte sie leicht ab oder klebte sie im Original in seinen geschriebenen Entwurf. In unserem heutigen Fließtext können wir das natürlich nicht mehr anhand der Form unterscheiden. Nur die Sprache ist erhalten geblieben. Andere Quellen, die Döblin für seinen Roman verwendete, sind beispielsweise Goethe und Schiller, am wichtigsten sind jedoch Passagen aus der Bibel über das Paradies, Abraham und Hiob.
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Analysiere den Textausschnitt auf bedeutende politische Diskurse, die die Zeit beherrschten.
TippsFür welche besondere soziale Gruppe setzt sich angeblich der Kommunismus ein? Hast du schonmal von der Diktatur des Proletariats gehört?
Die Weimarer Republik wurde sowohl von links als auch von rechts angegriffen und schließlich zu Fall gebracht.
LösungDer obige Textausschnitt gibt eine interessante Kontroverse der damaligen Zeit wieder. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde durch viele glückliche Wendungen die Demokratie eingerichtet: Deutschland gründete sich in der Weimarer Republik neu. Allerdings hatte das System von Anfang an unter einem Unverständnis der Bevölkerung in Sachen Demokratie zu leiden. Das hing auch mit dem Bildungsstand des Volkes zusammen: Agitatorische Redner hatten leichtes Spiel, durch Populismus Stimmen und Anhänger zu finden. So griffen sowohl von links wie auch von rechts politisch zersplitterte Gruppierungen die Demokratie an. Diese wollten sich nicht den neuen demokratischen Machthabern unterwerfen und hatten teilweise mit ihren Anschuldigungen recht: Arbeiter und Bauern wurden nach wie vor zum Nutzen von Großindustriellen und der Oberschicht ausgebeutet.
Dabei waren die linksradikalen Kommunisten eher versucht, die städtische Arbeiterschaft zu organisieren und über Mittel wie Streiks und in Anlehnung an die Oktoberrevolution in Russland ihre Forderungen durchzusetzen und das demokratisch-paternalistische Gebilde zu stürzen. Auf der anderen Seite befanden sich völkisch-nationalistische Vereinigungen, die die verarmte Bauernschaft und Landbevölkerung mit rassistischen Ideologien hinter sich versammeln konnten. Die Arena, in der die Kämpfe zwischen den kommunistischen, völkisch-nationalistischen und demokratischen Kräften geführt wurden, war Berlin.
Quelle: Alfred Döblin 1929: Berlin Alexanderplatz.
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